Schulreform
Es gibt kaum einen Pädagogen und nur wenige Schüler und Studenten, die daran zweifeln, dass in Deutschland eine grundlegende Schulreform Not-wendig ist.

Vorbereitend auf das Thema und mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlichen wir hier ein Exzerpt aus dem Buch "Disziplin des Lobens. Pädagogische Entgegnungen" von Anton N. Schmid*

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"... Zwei pädagogische Erdbeben haben unlängst die für stabil erachtete Tektonik der etablierten Schulsyste­me erschüttert: Bernhard Buebs Streitschrift «Lob der Dis­ziplin» und das Zutagetreten massiven Missbrauchs von Schülern durch ihre Erzieher. Während Bueb der Schule nach «68» eine mondiale Laxheit ankreidet und eine päd­agogische Neubesinnung auf überkommene Werte und Tugenden, insbesondere die Disziplin, anmahnt, warnt uns das Leiden erniedrigter Kinder vor allzu unvermittelter Nähe zwischen Lehrpersonen und ihren Schutzbefohlenen. Das Deichseln schulischer «zucht und Ordnung» und die Errichtung eines pädagogischen Sicherheitsabstands sind nun zu Erfordernissen des Tages geworden.

Dem müsste grundsätzlich niemand widersprechen, läge da in der Art und Weise, wie man beides zu erreichen gedenkt, nur nicht diese bildungsfeindliche Logik, die es ausgerechnet auf das H e r z s t ü c k der schulischen Ge­meinschaft abgesehen hat: Wieder einmal wird das Kind samt dem Bade ausgeschüttet, führt man Zaum und Sattel mit dem Gaul zum Schinder, denn einmal mehr geht es dem Lebendigsten und Wertvollsten an den Kragen, soll reformiert werden auf Kosten jenes Sauerteigs, der die Schule erst zum heiteren, ja menschenfreundlichsten Ge­schäft macht und die Jugend zu ihrer vollen Größe auf­gehen lässt, auf Kosten dessen nämlich, was man bislang schlicht und unbeschwert «P ä d a g o g i s c h e Liebe» nannte, auf deren Unverbrüchlichkeit große Pädagogik immer gebaut hat, die eines Goethe etwa, eines Pestalozzi, welche beide wussten - so wie es jede Mutter weiß und jeder Vater - dass mit der personalen Liebe auch jene andere ab­stirbt: die wachsende Zuneigung des lernhungrigen Kindes zum Wirklichen überhaupt, zu den Dingen. Denn fließen beide aus der gleichen Quelle und strömen wieder ineinander.

Diese klare, echtmenschliche Liebe gilt nun plötzlich als ein Fremdwort, sie wird denunziert und muss unter Be­griffen laufen, mit denen sie gar nichts am Hut hat, wird - da statistisch ohnehin belanglos -, als weiche Sozialgemütlichkeit hohngelächelt oder mit einem falschen, einem erotisierten «pädagogischen Eros» über einen Leisten ge­schlagen, dabei ist sie doch in ihrem Ursprung (nach einem Wort Hans Urs von Balthasars) « ... das Ernsteste, was es gibt», insbesondere da, wo einer im Alltäglichen seine K r a f t oder aber im Ernstfall- wie die hochherzige Jung­lehrerin Sabrina Schüle in Winnenden - sein Leben für andere hinschenkt(1).

Und diese Liebe hat, ganz im Gegen­satz zu jeder abgeklärten Neutralität, eine zu selten bedachte Kehrseite: sie, und nur sie, kennt den Zorn, den Eifer gegen das Misslingen des Menschen, also auch gegen seinen Miss­brauch, seine Ausbeutung. «Der Eifer für dein Haus ver­zehrt mich», hat man einst im Blick auf jenen sonst stillen Nazarener gesagt, der gerade ein paar Leute mit einer Geißel vom Tempelplatz jagte, weil sie ihren Profit zum obersten Gebot erklärt, dadurch aber das Menschlichste entwürdigt hatten: den heiligen Lebensraum als Gegen­wärtigkeit Gottes, der eben - noch einmal: - «die Liebe ist» (1 Joh 4,16). Damit hat sich der «Löwe Juda» auch als der wahre "oikonomos", als der rechte Hausver­walter, erwiesen(2).

Die Tempelreinigung (als Vorbild für jede Schulreform) zeigt es: Wer nicht aus der Liebe lebt, büßt letztlich auch jene Disziplin und Leidenschaft ein, wie der glühende Mei­ster sie lebenslang an den Tag gelegt hat, oder es kommt ihm der keusche, natürliche Abstand der Ehrfurcht abhan­den, den er bei den Händlern und Geldwechslern so bitter vermisste.

Omnia vincit amor, die Liebe gewinnt gewissermaßen alles, und wer sie verliert, hat gewissermaßen alles verloren. ..."

(1) Sabrina Schüle (24) und Michaela Abele-Köhler (26) haben sich beim Amoklauf von Winnenden am 11. März 2009 schützend vor ihre Schüler gestellt und dabei den Tod gefunden.

(2) Ökonom: von griechisch oikos (Haus) und nemein (verwalten).

(Klappentext)
Eigentlich hat man es immer schon gewusst: Wo sich Schüler von ihren Lehrern liebevoll angenommen wissen, ist das Fundament gelegt, dass sie auch gerne lernen. Darum wird eine echte «Pädagogische Liebe» den Erzieher und das Kind nicht aufeinander fixieren, sondern – wie es die neuere Hirnforschung bis ins Biochemische hinein belegt – eine gemeinsame Zuneigung zum Lernstoff fördern, zur vielfältigen und bereichernden Wirklichkeit, nach welcher das jugendliche Auge immer schon Ausschau hält. Denn «Liebe» ist nicht bloß etwas Atmosphärisches; sie ist Prinzip und Fundament des Wirklichen überhaupt, sofern wir es als Geschaffenes denken und existenziell annehmen. In ihr erfüllt sich der Sinn von Bildung durch lernendes und nachschöpferisches Tätigsein (J.W. Goethe).
Angesichts der beiden letzten pädagogischen Großdebatten, der Diskussion um die Disziplin, welche man allzu phantasielos auf das Disziplinarische reduziert hat (Bernhard Bueb, Lob der Disziplin), und des Zutagetretens massiven Missbrauchs von Schülern durch ihre Erzieher, droht die Essenz des Pädagogischen, die echtmenschliche Liebe, falsch verstanden und damit als überflüssig liquidiert zu werden, … was wiederum der fatalen «Ökonomisierung der Bildung» Tor und Türen öffnet: dem Ausverkauf der Schule stünde dann nichts mehr im Wege. Die drei hier veröffentlichten Essays möchten zeigen, dass mit der veräußerten Herzmitte auch jede handfeste Bildung schwinden wird, unseren Alpengletschern ähnlich, denen das Klima nicht mehr behagt.

Hier das Vorwort lesen (.PDF) ==> http://tinyurl.com/7qorgjd

"Disziplin des Lobens. Pädagogische Entgegnungen" von Anton N. Schmid
St. Gallen 2012, 128 Seiten, gebunden; Euro 17.- / SFr. 21.-;
ISBN 978 3 033 02795 4

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(Stiftung Johannes Schulen auf AMAZON)

Aus dem Inhaltsverzeichnis:
> Disziplin des Lobens - Ein Wort zu Bernhard Buebs Streitschrift «Lob der Disziplin»
> Missbrauch ohne Brauch? - Eine Entgegnung auf Jürgen Kaubes Kolumne "Dein Lehrer liebt dich"
> Wem verkaufen wir unsere Kinder? Warum die Ökonomisierung der Bildung nicht ökonomisch ist

Hier Buch bestellen ==> http://johannesschulen.org/#

(PH - 2012-02-17)


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